Als ich 2008 zum ALNUS kam, war der Charakter des Vereins geringfügig anders als heute. Es gab mehr jüngere Mitglieder in der Kerngruppe, viele Projektideen waren neu, tauchten plötzlich auf und verschwanden auch wieder. Damals noch nicht prägend war das Engagement in der Stadtentwicklung, die Mitwirkung an Planungsprozessen, die enge Kooperation und auch gelegentliche Konfrontation mit den Behörden – es war alles noch studentischer.
Trotzdem gab es damals schon eine spezielle Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Anarchie, die natürlich nicht einzigartig ist – jede vorwiegend jugendliche Gruppe ist ein bisschen so. Das Besondere ist aber, dass der ALNUS nie einen Dachverband hatte, der den Rahmen organisiert, sich um die Bürokratie kümmert und die Linie im Großen vorgibt, damit sich die Mitglieder den kleinen Dingen widmen können. Wir sind tatsächlich nur die, die zu unseren Treffen kommen und niemand anders, und wir machen alles selbst.
Ich halte das für ein sehr brauchbares Modell zivilgesellschaftlichen Engagements. Es ist anstrengend, ganz allein verantwortlich zu sein, aber auch zufriedenstellend, wenn man selbst bestimmen kann, was man vertritt, ohne Ideologien zu folgen. Dass wir lokal verortet sind und alles, was wir tun, ganz offensichtlich unseren eigenen Köpfen und Herzen entsprungen ist, wird anscheinend auch geschätzt. Jedenfalls hat der ALNUS in der Stadtpolitik einen Namen, wir werden gefragt, wenn Konzepte erarbeitet werden und gelegentlich anerkennend zitiert.
Es gab Zeiten – jetzt kann man es ja sagen –, wo ich dachte: Hoffentlich merken die Leute nicht, dass wir nur ein paar Hanseln sind, die nicht wissen, ob sie nächstes Jahr noch als Verein existieren. Aber im Moment geht es uns gut, wir sind viele und sind produktiv. Manche würden sagen, dass wir uns in einer Blase bewegen, aber das ist ein zu abwertendes Wort für eine ganz natürliche Sache. Viele von uns kommen aus einem bestimmten Milieu, das stimmt. Solche Milieus gab es schon immer, sie hatten nur, als es noch kein Internet gab, kaum Kontakt miteinander. Die sozialen Medien lassen sie ständig aufeinanderprallen und erzeugen die Illusion, dass die Gesellschaft am Zerreißen sei, weil nicht alle aus demselben Stall kommen. Ist sie nicht, das ist völlig normal, und man sollte daraus kein allzugroßes Problem machen.
Als zivilgesellschaftliche Organisation sind wir auf Förderung angewiesen, die wir auch reichlich bekommen – meist projektbezogen, weil wir Dinge umsetzen, die von Politik und Verwaltung für nützlich erachtet werden. Das ist gut so. Gleichzeitig haben wir uns nie als Hündchen gefühlt, das seinen Geldgebern aus der Hand frisst. Unsere Kritik an denjenigen, die – unter anderem – auch unsere Fördermittel bewilligen, ist bisweilen zugespitzt, wenn es um Dinge wie Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung geht.
Liebe Lokalpolitiker, liebe Mitarbeiterinnen des Stadtentwicklungsamts: Das muss so sein, wir freuen uns, dass es funktioniert und ich glaube sogar, dass Sie es gelegentlich zu schätzen wissen, wenn wir Ihnen unsere Perspektive vorhalten und versuchen, Sie auf andere Gedanken zu bringen. Jedenfalls ist es gut, in einer Gesellschaft zu leben, in der Mitbestimmung nicht davon abhängig ist, sich unterwürfig zu verhalten, und das ist unser gemeinsames Projekt.
In den meisten gemeinnützigen Organisationen, überall dort, wo es um ehrenamtliche, unvergütete Arbeit geht, die als Lohn nur das Gefühl abwirft, zusammen mit anderen etwas Nützliches getan zu haben, sieht man nach wie vor – hauptsächlich Frauen. Das ist auch bei unseren Aktionen so, wenn wir im größeren Kreis nachfragen: zur Wiesenmahd, zum Frühjahrsputz oder etwa beim Aufbau einer neuen Umweltbildungsgruppe.
In unserem engeren Kreis – denen, die regelmäßig zu den Treffen kommen, Verantwortung übernehmen und die Kleinarbeit machen – ist das Verhältnis interessanterweise völlig ausgeglichen. Im Vorstand sind derzeit vier Männer und eine Frau, aber das war auch schon andersherum, und das Vorstandsamt ist mit keinen Privilegien verbunden, man muss nur ständig irgendwas unterschreiben.
Es geht also offensichtlich mit der Gleichberechtigung, und wie das funktioniert, wäre durchaus eine soziologische Studie wert, aber ich bin kein Soziologe. Leitbilder und Quoten sind anscheinend nicht notwendig (wir haben keins von beiden), und Gendern hilft vermutlich auch nicht – es muss an anderen Dingen liegen. Vielleicht daran, dass wir gelernt haben, unsere identitätspolitischen Egos zu Hause zu lassen und einer Sache zu dienen, die wir selbst zwischen stark empfundenen Werten und der Suche nach Gemeinsamkeit ständig neu formen.
Das für Außenstehende vielleicht Überraschendste, wenn sie neu zu uns stoßen, ist das Maß an Disziplin und Pragmatismus, das in einem in vielen Dingen so chaotischen Haufen wie unserem zutage tritt, wenn wir diskutieren und Dinge organisieren. Natürlich, vieles davon hat mit Erfahrung zu tun, und da sind die alten Hasen manchmal sehr dominant. Aber Erfahrung allein gibt noch keine Energie, die ja auch notwendig ist, um in der Mitgliederversammlung zu sagen: Ich mache das, ich setze mich zu Hause hin und recherchiere, kaufe Material ein, schreibe einen Förderantrag und krieche mit dem Rothmaler über die Feuchtwiese.
Abgesehen vom fachlichen interesse, das natürlich bei allen da ist, würde ich sagen, die Energie kommt daher, dass es Spaß macht, und die Disziplin ist nützlich, weil man dann mehr Zeit für Späße hat. Wenn man sich auf eine Mitgliederversammlung freut, weil es bestimmt wieder was zu lachen gibt und interessante Projekte geplant werden, ist das nicht trivial – es ist eine echte Errungenschaft. Das geht nur, weil es keine Machtkämpfe gibt. Wenn sich gelegentlich einer andeutet, geht die Stimmung sofort in den Keller, und wir wissen, dass wir etwas anders machen müssen.
Ab und zu, alle paar Jahre vielleicht – Dichter dürfen es öfter –, kann man sich hinsetzen und große Worte aufschreiben, Bilanz ziehen und vielleicht auch ein wenig gerührt sein vom selbst Geschafften. Aber auch Dichter wissen, dass man sich am eigenen Werk nicht länger als für den Moment berauschen soll und dass die besten Kunstwerke dann entstehen, wenn anarchische Kreativität vom unbedingten Willen zur Annäherung an einen selbst gesetzten Qualitätsmaßstab gebändigt wird. Beides ist notwendig, auch wenn man Letzteres von außen in der Regel nicht sieht.
Dass wir als Verein 25 Jahre alt geworden sind, ist nicht unser Verdienst, höchstens vielleicht, dass wir 2012, als wir nur noch eine Handvoll Aktive waren, nicht aufgegeben haben. Die Zeit kümmert sich nicht darum, wer wann wie alt wird, sie vergeht einfach, und man kann nur mitmachen – muss man ja. Ich möchte weiter mitmachen, neue Gesichter dazukommen sehen und meine Erfahrungen einbringen, und vielleicht gibt es ja irgendwann auch eine Seniorengruppe. Da würde ich dann auf dem Balkon sitzen und gelegentlich meinen Senf dazugeben.
Danke dir Daniel für dieses literarische Jubiläumgeschenk an uns und an dich!
Trotz eines ähnlichen Milieus vereinen wir trotzdem sehr unterschiedliche Charaktere im Alnus und ich freue mich auf das gemeinsame sich Weitertasten, Schreiten, Rennen und Ausruhen, voneinander Lernen und am Ende zu staunen was sich verwirklicht hat. Bis zum Vereinsfest am 13. am Bahnhofsvorplatz und eine Woche später am Eichwerder!