Wir haben eine sehr sehr schöne Fahrt hinter uns!
Engagierte aus Eberswalde haben ihre Fühler nach Polen ausgestreckt, um dort die Arbeit von Gleichgesinnten kennenzulernen und Verbündete für eigene Vorgaben zu finden. Zur Reisegruppe haben sich 5 Eberswalder*innen aus verschiedenen Initiativen zusammengefunden, um vor Ort echte Pionierarbeit zu leisten. Dem Ziel, eine komplett neue Kooperation mit der polnischen Partnerstadt Gorzow auf zivilgesellschaftlicher Ebene herzustellen, sind wir ein ganzes Stück näher gekommen.
Die befreundete polnische Biologin Anna Gniewczynska hat für uns den Kontakt zu dem Verein “Zielone Miasto” (Grüne Stadt) hergestellt. Der Verein hat sich durch seine konstruktive Einmischung in verschiedene Bauvorhaben der Stadt einen Namen gemacht. Außerdem setzen sie sich für die Pflege einer Natur-Perle inmitten der Stadt ein: das Natur-Reservat “Gorzowskie Murawy”, ein sehr artenreicher Trockenrasen-Komplex.
Wir haben uns nicht in irgend ein beliebiges Hotel der Stadt eingenistet, sondern sind dem Geheimtipp unserer Gastgeber gefolgt und haben uns in dem in Entstehung begriffenen Hauptquatier des Gorzower Zweigs des Polnischen Tourismus-Verbandes PTTK in Moscice, ca. 40 km vor den Stadttoren, niedergelassen. Wie ernst die Gastgeber unsere Ankunft genommen haben, war daran erkenntlich, dass sie extra aus Gorzow angereist sind und uns mit leckerem Hefekuchen empfangen haben. PTTK hat dort eine alte Dorfschule, die bereits dem Abriss geweiht war, gerettet und daneben einen jungen dendrologischen Garten angelegt. Dabei wurden sie von Zielone Miasto unterstützt. Dieser Garten besitzt weit mehr als provinzielle Bedeutung, denn er ist der einzige dendrologische Garten in Europa, in dem man viele Bäume von oben betrachten kann. Außerdem befinden sich hier – dank der Sammelleidenschaft von Marek – einige Kostbarkeiten, die man fast nirgends anders finden kann, beispielsweise eine Sammlung von 52 verschiedenen Pfefferminze-Arten. Der Garten und die alte Schule wird durch von Zbyszek und Hania liebevoll betreut und mit der Unterstützung von Dorfbewohnern gepflegt. Im Rahmen der Statut-mäßigen Arbeit von PTTK werden neue Wander- und Fahrradrouten gekennzeichnet, touristisches Kartenmaterial erstellt, Umweltbildungsangebote für Kinder und Familie gemacht, Paddeltouren organisiert und die touristische Infrastruktur gepflegt. PTTK bedeutet Polskie Towarzystwo Turystyczno-Krajoznawcze, also Polnischer Verein für Tourismus und Landschaftskunde. Der Erhalt der Natur und deren schonende Erfahrbarmachung für die Allgemeinheit gehören zu seinem Kernanliegen, somit ist er aus meiner Sicht gut vergleichbar mit den Naturfreunden in Deutschland.
Der Samstagvormittag begann mit einer Führung auf dem Trockenrasen. Dort trafen wir unerwartet gleich auf das polnische Fernsehen. Der Chef der regionalen Umweltschutzdirektion Jozef Kruczkowski und Anna und Marek von Zielone Miasto haben einige einleitende Worte gesagt, anschließend wurde auch der Alnus interviewt, was wir uns denn von der Zusammenarbeit versprechen? Ich habe den Ball flach gehalten und gesagt, dass wir uns zu diesem Zeitpunkt noch in der Kennenlernphase befinden. Zielone Miasto möchte die Anwohner des Reservats dazu ermuntern den Schatz in ihrer Nachbarschaft bewusster wahrzunehmen und sich für seinen Erhalt einzusetzen. Deswegen wurde die Führung mit einer öffentlichen Müllsammelaktion verbunden.
Den Wegesrand säumten seltene Pflanzen wie die Sand-Lichtnelke (Dianthus arenarius), die Kartäuser-Nelke (Dianthus carthusianorum), das Pfriemengras (Stipa capillata), die Golddistel (Carlina vulgaris) und viele weitere. In dem Gebiet kommen 4 verschiedene Trockenrasentypen vor. Auf armen Sandstandorten sind Silbergrasflure ausgebildet, auf mergeligen Hängen blühen artenreiche Halbtrockenrasen. Das gesamte Gebiet ist gefährdet durch die invasiv auftretende Kanadische Goldrute und durch die Gebüsch-Sukzession der Spätblühende Traubenkirsche sowie einheimischer Straucharten. Momentan wird ergänzend zu der Schutzgebietsverordnung des Naturschutzgebietes, ein Pflegeplan für das gleichnamige FFH-Gebiet erarbeitet.
Die beste Pflege würde eine Schafbeweidung darstellen. Dafür werden auch EU-Fördergelder bereit gestellt, allerdings hat sich noch kein interessierter Landwirt gefunden. Die durch die Umweltschutzdirektion regelmäßig vorgenommenen Entbuschungen und teilweise Mahd reichen nicht aus, um die fortschreitende Degradation der Trockenrasen aufzuhalten. Auf unserem Spaziergang haben wir alle unsere Tüten proppenvoll mit Müll bekommen. Unsere Gastgeber haben unsere Sammeldisziplin mehrfach gelobt. Hier haben wir zu aller Zufriedenheit klar den deutschen Stereotyp erfüllt.
Nun ging es ins Stadtzentrum. Auf unseren Wunsch hin, wurden uns einige der Investitionen gezeigt, in deren Realisierung der Verein sich eingemischt hat. Ein kompliziertes Dilemma bildet hierbei die ulica Kostrzynska, die Küstriner Straße, die eine wichtige Ausfahrtstraße nach Küstrin und weiter nach Berlin darstellt. Die ganze Geschichte wäre zu lang, aber man kann die Situation mit dem Flughafen BER in Berlin vergleichen. Weder die Gesundheit der Allee-Bäume konnte erhalten, noch die Verkehrsführung verbessert werden. Das Ergebnis ist nun eine seit 2 Jahren andauernde Vollsperrung der wichtigen Straße. Als sehr gelungene Investition wurde uns die Uferpromenade mit Cafes und Kneipen entlang der Warthe vorgestellt. Vor allem die Einwohner von Gorzow haben sie sehr gut angenommen. Auf einem Schiff ließen wir uns ein Bier schmecken und konnten unsere Gastgeber etwas persönlicher kennen lernen. Marek ist hauptberuflich Imker und Andrzej kehrte nach 30 Jahren USA in seine Heimat zurück und ist nun Rentner. Dann musste sich leider die junge Biologin Anna mit 2 kleinen Kindern von uns verabschieden. Mit Marek und Andrzej sind wir weiter in die Stadt gezogen. Das Wahrzeichen von Gorzow ist seine Kathedrale. Zum Leid aller hat der Turm vor 2 Jahren durch einen Kabelbrand in einem Server Feuer gefangen und wurde komplett zerstört. Der Wiederaufbau ist eine große technische und handwerkliche Herausforderung, auch weil keine genauen Bau-Pläne vorliegen. Die frisch gesägten mächtigen Balken mit komplizierten Zapfstellen liegen bereits zum Einbau bereit. Auch die 3 Straßenbahnlinien der Stadt befinden sich gerade in der Erneuung. Architektonisch auffällig ist die alte Badeanstalt, die mit großen glasierten Ziegelsteinen verziert ist.
Dann blieben wir vor ein paar unsanierten Altbauten stehen. In Polen besitzen viele Menschen Eigentumswohnungen. Das lässt sich häufig an den völlig unterschiedlichen Fenstern erkennen. In manchen Fällen können sich die Eigentümer keine Sanierung ihrer Wohnung leisten und das gesamte Haus verfällt zusehends. Die Innenstadt ist zum Scham unserer Stadtführer durch einige sehr baufällige Altbauten geprägt.
Über Verdrängungsprozesse konnten wir nicht so viel erfahren. Ein anderes Segment scheint in Gorzow eine bedeutendere Rolle zu spielen: Von Investoren neu errichtete Stadtteile. Das sind Wohngebiete, die samt Straßen und Infrastruktur von einem Investor errichtet werden. In dem von uns besichtigten Beispiel war das Viertel schlecht an den öffentlichen Nahverkehr angebunden, da Busse die schmalen Straßen nicht befahren können. Die Wohnungen kosten hier etwa 1000 zl/m2, was im Vergleich zu Städten wie Breslau und Warschau sehr günstig ist.
Es gibt in Gorzow aber auch über 5500 Kommunalwohnungen, die von der städtischen Wohnungsverwaltung bewirtschaftet werden. Der Verwaltungsbetrieb ist ein Eigenbetrieb der Stadt. Kommunalwohnen haben einen festen Preis von 4,41 zl/m2 kalt. Außerdem gibt es Sozialwohnungen, die nur 0,88 zl/m2 kalt kosten. Diese Preise erscheinen auch in Relation zum polnischen Netto-Durchschnittseinkommen von ca. 2500 zl/Monat ziemlich preiswert. Um sich ein ganzes Bild zu machen, müssen jedoch die Nebenkosten mit einbezogen werden.
Durch die Innenstadt fließt die Klodawka, ein etwas größeres Fließ als die Schwärze in Eberswalde. Die Hochwassergefahr für Gorzow kommt nicht von der Warthe, sondern von diesem kleinem Fließ, dass bei starken Niederschlägen um mehrere Meter ansteigen kann. Die von Zielone Miasto angeregt Erhaltung von innerstädtischen Wasser-Retentionsflächen auf kleinen natürlichen Überschwemmungsflächen wurde von der Stadt leider ignoriert. Stattdessen sind in 2 Fällen solche wertvollen Flächen aufgeschüttet und bebaut und zum Fluss hin zusätzlich mit einem Wall geschützt worden. Diese Maßnahmen verschärfen die Hochwassergefahr für die Stadt.
Genährt von den Eindrucken und trotzdem immer hungriger fuhren wir zu Marek nach Hause, wo seine Frau Dorota und sein Sohn Piotr uns mit Kuchen und Kaffee empfingen. Super Stimmung, leckeres Essen, Blick in die offene Landschaft. In Spazierweite verläuft ein Zufluss der Klodawka, der sich dort noch in Mäandern schlängelt. Obwohl das Fließ in seinem gegenwärtigen Zustand niemanden stört und den besten und vor allem kostenloser Hochwasserschutz bietet, hat Marek Befürchtungen, dass es bald begradigt werden könnte, so wie einen Abschnitt weiter schon geschehen. Ein Dilemma, das wir nicht komplett verstehen können.
Zu guter Letzt weihte uns Marek in die Welt der Bienen und Bienen-Pflanzen ein. Sein Garten bildet einen Biodiversitätshotspot weit über Gorzow und vielleicht ganz Polen hinaus. Wir haben uns allein etwa 15 verschiedene Linden-Arten angeschaut. Damit Bienen und Bienenfreunde auch aus sehr großen Höhen Marek’s Garten erkennen können, hat er aus Steinen eine etwa 10×10 m roße Bienenwabe gebaut. Gefüllt ist sie mit Bienen-Kräutern. Auch wir haben uns in seinem Garten durch die Pflanzung von 5 Falschen Indigo verewigt. Etwas Freundschaftsromantik muss auch sein.
Am Sonntag lag unser Schwerpunkt auf dem Fluss Warthe. Hierfür haben wir den Verein der Freunde von Slonsk besucht, die am Rande des Nationalparks Warthemündung eine kleine Touristeninformation und einen Kajak-Verleih betreiben. Iza und Jacek Engel sind aber auch zwei treibende Kräfte in dem NGO-Zusammenschluss Koalition zur Rettung der Flüsse. Die inhaltliche Verbindung zu der Arbeit der Initiativen in Eberswalde lag hier nicht gleich auf der Hand, weshalb unsere Gastgeber wissen wollten, was sie denn für uns tun können? Das Warthebruch ist sehr gut vergleichbar mit dem Oderbruch aufgrund der sehr ähnlichen Geschichte der Trockenlegung und Besiedlung. Über die Warthe führt eine geplante Wasserstraße, die E70, die auch über den Oder-Havel-Kanal an Eberswalde vorbei führt. Brisanter sind jedoch die geplanten Wasserstraßen-Ausbaue von Oder und Weichsel. In der Koalitionsarbeit zur Rettung der Flüsse lag dann der Schlüssel zu unserer Arbeit. Im Kampf um die mediale Aufmerksamkeit verwendet die Koalition zunehmend kreative Protestformen. Besonders mit der Einbindung der Künstlerin Cecilia Malik und ihrer Gruppe der Fluss-Schwestern konnte die Koalition zumindest medial ein 1:0 gegen die Ausbau-Pläne der Regierung erzielen.
Hier konnten wir gute Inspirationen finden, die z.B. für die Öffentlichkeitsarbeit zur Erhaltung der Friedrich-Ebert-Straßen-Wiese nützlich sein können. Im Gegenzug hat Ulli ihnen die Arbeit von WandelBar in Eberswalde und die Transitiontown-Idee vorgestellt.
Nach einer abschließenden kleinen Paddeltour auf einem Altarm der Warthe, haben wir uns von den Rinder- und Pferdeherden, den Störchen und den Gastgebern verabschiedet und sind erfüllt nach Eberswalde zurückgekehrt.
Geblieben sind gute Bekanntschaften, offene Einladungen, der Plan mit PTTK Gorzow eine gemeinsame Paddeltour zu machen, der Kontakt zu dem Chef der Umweltschutzdirektion, der gerne mit der HNEE kooperieren möchte. Zielone Miasto kann mit seiner herausragenden Bienen-Kompetenz beratend tätig werden, um Eberswalde Bienen-freundlicher zu gestalten. In dem Kampf um die Erhaltung von innerstädtischen Grünflächen, wie der Friedrich-Ebert-Straße, können wir auf ihre Solidarität zählen. Außerdem kann die Gorzower Gebäudewirtschaft hinsichtlich ihrer Organisation als städtischer Eigenbetrieb und mit ihren sozialen Mietpreisen als ein Vorbild für Eberswalde dienen. Weitere Recherchen sind aber noch notwendig.