Am 25.10. hat die neu gegründete AG Wasser Eberswalde unter dem Apell “Gesicht zeigen für eine lebendige Oder” zu einer Paddeltour auf dem Grenzfluss eingeladen. Die Oder gilt als einer der natürlichsten Ströme Mitteuropas. Außergewöhnlich ist, dass sie auf einer Strecke von 430 km Länge frei dem Gefälle nach fließt und durch keine Staubauwerke künstlich reguliert wird. Somit gibt es ausgeprägte Hoch- und Niedrigwasserphasen, die die für Flussauen typische Landschaft bilden. Die Oder ist in vielerlei Hinsicht ein interessanter Fluss und sie besitzt viele Dilemma. Eines ist, dass sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln schwer zu erreichen ist. Wir haben durch einen Biathlon aus Zug und Fahrrad trotzdem geschafft auf das Auto zu verzichten!
Ein weiteres Dilemma ist, dass sie für 160 km die polnisch-deutsche Staatsgrenze bildet. Dieser Tatsache ist es zwar auch zu verdanken, dass in der Vergangenheit wenig in den Fluss eingegriffen wurde, anderseits besitzt der Fluss dadurch nur eine kleine Fangemeinde und selbst Anwohner*innen identifizieren sich nicht so sehr mit der Oder, wie in vergleichbaren Regionen im Landesinneren. Der nun beginnende Ausbau der Oder mit weitreichenden negativen Folgen für den Naturausstattung ist vielen Brandenburger*innen unbekannt oder wird nur als Randnotiz wahrgenommen.
Schon im nächsten Jahr soll auf polnischer Seite mit den Baumaßnahmen im Rahmen eines von der Weltbank finanziertem Hochwasserschutzprojektes begonnen werden. Grundlage ist ein 2015 geschlossener Staatsvertrag, der den Neubau der Buhnen (Bauwerke zur Lenkung der Strömung) festlegt. Der Vertrag stellt ein politischer Kompromiss dar: Polen drängt auf die Verbesserung der Schiffbarkeit der Oder, während für Deutschland die Grenzoder keine wirtschaftliche Bedeutung besitzt. Sie möchten jedoch für die Papierfabrik in Schwedt den Ostseezugang mit Seeschiffen ermöglichen. Dafür ist eine Vertiefung der Klützer Querfahrt nötig. Nach außen hin wurde der Vertrag als reines Hochwasserschutz-Abkommen kommuniziert, obwohl die Maßnahmen weit über das notwendige Maß hinausgehen oder sogar den Hochwasserschutz verringern. Das Hochwasserschutz-Argument wichtig, damit der Ausbau formal die Förderkriterien der Weltbank erfüllt. Offiziell geht es darum, für die Einbrecherflotte im Winter den nötigen Wassertiefe zu gewährleisten. Die Eisbrecher verhindert bei Eisgang eine Verkantung der Einschollen, wodurch ein Winterhochwasser herbeigeführt werden kann.
Die Umbau-Maßnahmen an den Buhnen führen jedoch kurzfristig zu einer Anhebung des Wasserspiegels, auch bei Hochwasser, und langfristig zu einer Absenkung der Gewässersohle und somit zu einer Absenkung des Grundwasserspiegels in der gesamten Aue. Schutzgebiete entlang der Oder drohen dadurch auszutrocknen und das Gewässerbett mit seiner Strukturvielfalt eingeebnet und zerstört zu werden. Wiederansiedlungsprojekte für ausgestorbene Fischarten, wie dem Stör, stehen auf dem Spiel. Der Ausbau nach dem 2015 beschlossenen Konzept steht der Wasserrahmenrichtlinie und der FFH-Richtlinie entgegen, die Gewässerlebensräume und in ihnen vorkommende Arten schützen sollen. Somit muss in einer Strategischen Umweltprüfung das Konzept an die Gesetzeslage angepasst werden. In Deutschland beginnt dieser Prozess im nächsten Jahr und in Polen ist er bereits abgeschlossen, jedoch ohne, dass die Konzeption angepasst wurde. Die Einwendungen von Umweltverbänden wurden nicht berücksichtigt. Sie begeben sich nun auf den Klageweg, der im Besten Fall bis zu dem Europäischen Gerichtshof führt. Mehr zu dem Streit hier: https://www.rbb24.de/
Unsere Aufgabe als AG Wasser sehen wir jedoch darin, Menschen von der Einzigartigkeit der Oder zu begeistern, zusammenzuführen und die komplexen Zusammenhänge verständlich darzustellen. Deshalb hatte die Paddeltour auch einen Austausch-Teil, in dem sich die Beteiligten besser kennen lernen konnten und eine gemeinsame Perspektive für das weitere Vorgehen zum Erhalt einer natürlichen Oder besprochen wurde. Zunächst ging es aber auf’s Wasser. Der Fluss führt gerade ein leichtes Hochwasser. Gleich am Deichfuß stiegen wir ins Wasser. Auf der seeartigen erweiterten Wasserfläche war die Oder kaum auszumachen. Die Buhnen, die man Normalwasserstand gut erkennt, waren überspült und nur an welligen Strudeln an der Oberfläche zu erahnen. Bei herrlichem Herbstwetter präsentierte sich die Natur von ihrer farbenfrosten Seite: blauer Himmel spiegelt sich im Wasser, Pferde und Rinden weiden auf sattem Grün, Baum-Ruinen mit Herbstlaub bilden die Siluette am Horizont. Für viele war es das erste Mal mit dem Boot auf einem großen Fluss. Mensch und Fluss sind historisch eng verwachsen. Erhebungen in Fluss-Ästuaren waren beliebte Siedlungsplätze unserer Vorfahren, die sich hauptsächlich von Fisch ernährt haben. Heute ein Inbegriff der Peripherie, spielte sich früher das Leben entlang des Flusses ab. Heute begibt man sich an die Oder, um allein mit der Natur zu sein. Der Tourismus spielt bereits heute eine große Rolle als Arbeitgeber in der Region. Davon leben auch unsere Gastgeber vom Naturerlebnishof Uferloos, sowie Frauke Bennett, die Paddeltouren, z.B. auch im wilden polnischen Zwischenoderland, anbietet.
Auf dem anschließenden Vernetzungstreffen brachten die 22 Teilnehmer*innen ihre sehr unterschiedliche Vorkenntnisse und Kompetenzen ein. Im Ergebnis wurde der klar, was wir tun können. Wir brauchen Informationsmaterial. Das dritte Dilemma der Oder ist nämlich, das es sich wie oben angedeutet um ein sehr komplexes Thema handelt, dass sich nicht in Schwarz/Weiß darstellen lässt. Lebendige Flüsse leisten einen großen Beitrag zum Klimaschutz, zur Klimawandelanpassung und sind Zentren der Biodiversität. Gemessen an ihrer Bedeutung finden sie zu wenig Beachtung etwa bei Friday for Future und anderen Bewegungen. In der Vernetzung und Kommunikation kann eine weitere Aufgabe unserer Gruppe liegen.
Es gibt Gesetze, die schützen die Wasserressourcen vor Verunreinigung und die Gewässerökosysteme vor einer Degradation. Doch diese Gesetze müssen eingehalten und umgesetzt werden. Die Abwägung im Fall von sich widersprechenden Gesetzen, ist eine politische Verhandlung, die in bedeutendem Maße von der Stimmen in der Öffentlichkeit beeinflusst wird. Deswegen muss mehr über die Oder geredet werden!